Wenn Sachverständige ihre Qualifikation nicht belegen

Sachverständige genießen in vielen Bereichen ein hohes Ansehen. Ihre Gutachten gelten als fachlich fundiert, objektiv und unabhängig. Besonders viel Vertrauen genießen Sachverständige, die als „öffentlich bestellt und vereidigt“ auftreten oder sich als „zertifiziert“ bezeichnen – etwa nach DIN EN ISO/IEC 17024. Doch genau hier beginnt ein oft übersehener, aber entscheidender Punkt: Wer hat diese Qualifikation verliehen – und ist sie überhaupt noch gültig?
Zertifiziert – aber von wem?
In der Praxis zeigt sich zunehmend ein Mangel an Transparenz. Immer häufiger werden Gutachten veröffentlicht, in denen zwar auf eine Zertifizierung oder öffentliche Bestellung verwiesen wird, jedoch die benennende Institution nicht genannt wird. Ohne diese Angabe ist es für Dritte – etwa Gerichte, Anwälte oder Auftraggeber – nicht überprüfbar, ob die Qualifikation tatsächlich besteht, wer sie verliehen hat und ob sie noch gültig ist.
Ein solches Weglassen kann nicht nur als Nachlässigkeit, sondern auch als strategisches Verschweigen interpretiert werden – insbesondere dann, wenn der Eindruck einer besonders hochwertigen Qualifikation erweckt werden soll. Wer seine Bestellungs- oder Zertifizierungsstelle nicht offenlegt, macht sich damit zumindest erklärungsbedürftig – und im schlimmsten Fall verdächtig, eine nicht (mehr) bestehende oder fachlich fragwürdige Qualifikation zu verschleiern *1).
Eine mögliche Lösung – z.B. bei Platzmangel in Kurzdarstellungen – wäre ein verlinkter Nachweis über eine Webadresse, auf der die vollständigen Angaben zur Bestellung oder Zertifizierung öffentlich einsehbar sind. Fehlt jedoch auch dieser Verweis, liegt ein Verdachtsfall vor.
BGH und LG Bonn: Zertifiziert ist nicht gleich ISO-zertifiziert
Ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 6. Februar 1997 – I ZR 234/94) *2) hat klargestellt, dass sich jemand unter bestimmten Voraussetzungen als Sachverständiger bezeichnen darf, auch ohne öffentliche Bestellung oder ISO-Zertifizierung. Entscheidend ist, dass eine nachvollziehbare Ausbildung mit bestandener Prüfung vorliegt und die Bezeichnung nicht irreführend verwendet wird.
Das Landgericht Bonn bestätigte dies in einem weiteren Urteil (LG Bonn, Urteil vom 12. Juni 2015 – Az. 16 O 38/14) *3) : Ein staatlich geprüfter Bautechniker durfte sich „zertifizierter Sachverständiger“ nennen, da er ein TÜV-Zertifikat vorweisen konnte, das die erfolgreiche Teilnahme an einem Lehrgang samt Prüfung bescheinigte. Die Bezeichnung war demnach nicht irreführend, obwohl keine ISO 17024-Zertifizierung vorlag.
Personenzertifiziert – aber nach welchem Maßstab?
Der Begriff „personenzertifiziert“ wird häufig verwendet, ist aber nicht geschützt. In der Fachwelt wird er oft mit der DIN EN ISO/IEC 17024 assoziiert – einem international anerkannten Standard mit klaren Anforderungen an Unabhängigkeit, Re-Zertifizierung und Qualitätsmanagement *4).
In der Praxis sind jedoch viele Fachgebiete nicht durch ein normatives Dokument bei der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) abgedeckt. Eine Akkreditierung nach ISO 17024 ist dort nicht möglich, weil die fachliche Grundlage fehlt. Die Mehrheit der Zertifizierungen erfolgt daher nicht akkreditiert – was nicht automatisch minderwertig ist, aber eine genaue Prüfung der Zertifizierungsstelle erfordert.
Entscheidend ist: Ist der Zertifizierer transparent, nachvollziehbar und fachlich fundiert – oder handelt es sich um eine Briefkastenfirma mit rein werblicher Absicht? Die Qualität der Zertifizierung hängt also nicht allein vom Siegel, sondern maßgeblich von der Seriosität der ausstellenden Stelle ab *5).
Freie Sachverständige – ein Graubereich
Die Berufsbezeichnung „Sachverständiger“ ist in Deutschland nicht geschützt. Jeder darf sich so nennen – auch ohne Bestellung oder Zertifizierung. Dies führt zu einem Graubereich, in dem sich sogenannte „freie Sachverständige“ bewegen. Ohne fachliche Ausbildung oder Berufspraxis kann die Verwendung des Titels jedoch irreführend und wettbewerbswidrig sein *6).
Erwartungen der Auftraggeber
Wie aus dem Vortrag „Zertifikate und Zertifizierungen“ hervorgeht, erwarten Auftraggeber von zertifizierten Sachverständigen:
- Überprüfung eines umfangreichen Fachwissens
- Fortlaufende Kontrolle der Qualifikation
- Risikobewusste Bearbeitung von Aufträgen
- Geeignete Haftpflichtversicherungen
- Transparenz über die Zertifizierungsstelle
Diese Erwartungen können nur erfüllt werden, wenn die Zertifizierung nachvollziehbar, überprüfbar und aktuell ist – und nicht nur auf dem Papier existiert.
Fazit: Transparenz ist Pflicht
Titel und Siegel allein reichen nicht aus. Wer sich auf ein Gutachten verlässt, sollte stets hinterfragen:
- Wer hat den Sachverständigen zertifiziert oder bestellt?
- Ist die Qualifikation noch gültig?
- Handelt es sich um eine ISO 17024-Zertifizierung oder eine andere Form?
- Ist die Zertifizierungsstelle nachvollziehbar – oder bleibt sie im Dunkeln?
Nur durch diese Transparenz kann das Vertrauen in die Objektivität und Qualität von Gutachten langfristig gesichert werden.
Fußnoten
- *1): Vgl. Vortrag „Zertifikate und Zertifizierungen“, Berliner SchadenSeminar, Folien zu freier und verdeckter Titelverwendung.
- *2): BGH, Urteil vom 6. Februar 1997 – I ZR 234/94: Zur Zulässigkeit der Bezeichnung „Sachverständiger“ bei entsprechender Ausbildung und Prüfung.
- *3): LG Bonn, Urteil vom 12. Juni 2015 – Az. 16 O 38/14: Ein TÜV-zertifizierter Bautechniker durfte sich „zertifizierter Sachverständiger“ nennen.
- *4): DIN EN ISO/IEC 17024: Internationale Norm zur Personenzertifizierung mit Anforderungen an Unabhängigkeit, Re-Zertifizierung und Qualitätsmanagement.
- *5): Vgl. Vortrag „Zertifikate und Zertifizierungen“, Abschnitt zur Rolle der Zertifizierungsstellen und Konformitätserklärungen.
- *6): Ebd., Abschnitt zu freien Sachverständigen und unlauterem Wettbewerb.
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